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Entspannte Moderne

Der westdeutsche Bungalow 1952-1969 als Adaption eines internationalen Leitbilds und Symbol einer nivellierten Mittelschichtsgesellschaft
Forschungsprojekt und Dissertation von Carola Ebert

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Bungalowforschung

In ihrer Dissertation Entspannte Moderne. Der westdeutsche Bungalow 1952-1969 als Adaption eines internationalen Leitbilds und Symbol einer nivellierten Mittelschichtsgesellschaft untersuchte Carola Ebert die moderne Bungalowarchitektur in der Bundesrepublik Deutschland der fünfziger und sechziger Jahre.

In diesen zwei Jahrzehnten wurde das eingeschossige moderne Wohnhaus mit flachem Dach zu der suburbanen Wohnform der Nachkriegs-bundesrepublik, die sich bis heute zahlreich in den Vorstädten und verdichteten ländlichen Regionen findet. Als „Neutra-Bungalows” und „Traumhaus der Menschheit” idealisiert [1], avancierten Bungalows zum Inbegriff zeitgenössischer Wohnvorstellungen während des Wirtschaftswunders. „Als höchstes Glück der Wohlstandskinder galt der Bungalow, bei dem sich die Kunst des Architekten im ‚Einfangen des wärmenden, heilenden und beglückenden Lichts’ besonders gut entfalten konnte. ‚Ein ebenerdiger Bau, klar und weiträumig in den Ausdrucksformen unserer Zeit.’ ... In der Heimstatt ‚voll lichter Großzügigkeit’ fühlte man sich schon ‚fast im Urlaub’.” [2]

Obwohl der Bungalow seit Mitte des 20. Jahrhunderts in (West-)Deutschland eindeutig als modernes eingeschossiges Wohnhaus definiert zu sein scheint, ist die Geschichte von Bautyp und Begriff in der Bundesrepublik Deutschland deutlich komplizierter. Beispielsweise bezieht sich die moderne (west-)deutsche Bungalowarchitektur auf internationale, vor allem amerikanische Leitbilder – wie Richard Neutras Wohnhäuser der 1940er Jahre oder die kalifornischen Case Study Houses. Diese Gebäude werden jedoch in den USA nicht als bungalow bezeichnet. Ebenso entspricht das medial konstruierte Bild des Bungalows als verglaster Pavillon unter auskragendem Dach, das auch seine architekturhistorische Rezeption dominiert, nicht seiner materiellen Wirklichkeit als komplexes Wohnhaus. Die „Rezeptionsgeschichte des Flachdachbungalows in der Bundesrepublik” [3] wirft somit zahlreiche Forschungsfragen auf, die aufgrund des wiedererwachten Interesses am Bautyp Bungalow von aktueller Relevanz sind.

Auf den folgenden Seiten finden Sie weitere Informationen zum Inhalt der Arbeit, zur Person und zu Publikationen zum Thema.
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[1] Walter Betting und J.J. Vriend, Bungalows: Deutschland, England, Italien, Holland, Belgien, Dänemark. Darmstadt, 1959, unpag.
[2] Hermann Glaser, Deutsche Kultur. Ein historischer Überblick von 1945 bis zur Gegenwart. Bonn, 1997, S. 231. Glaser zitiert aus der Zeitschrift Das Schönste, 3/1958, S. 29ff.
[3] Joachim Driller, Amerika in Europa wieder finden? Richard Neutra in den 1960er Jahren, in: Klaus Leuschel und MARTa Herford (Hrsg.), Neutra in Europa - Bauten und Projekte 1960-1970. Herford, 2010, S. 15.

Bild: Kanzlerbungalow (2010), Bonn © Carola Ebert

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Zur Dissertation

Die Dissertation ist die erste wissenschaftliche Arbeit zum westdeutschen Bungalow. Ausgangspunkt der Arbeit sind die internationalen Referenzen des westdeutschen Bungalows – begrifflich die globale Bungalowhistorie vom indischen Bungalow des 18. Jahrhunderts bis zum American Bungalow der Jahrhundertwende, und architektonisch die zeitgenössische Wohnhausmoderne, besonders die kalifornischen Case Study Houses und das Werk Richard Neutras. Zusätzlich wird einleitend die Entwicklung des Einfamilienhauses und die politische Signifikanz der Architekturmoderne in Deutschland bis 1945 sowie der historische Kontext nach 1945 beleuchtet.

Im Zentrum der Arbeit steht die Analyse von Begrifflichkeit und Architektur des westdeutschen Bungalows sowie seiner Konnotationen. So erforscht die Arbeit erstmals die von Ungleichzeitigkeiten und wiederholten Bedeutungsverschiebungen geprägte Entwicklung des Begriffs Bungalow im Deutschen: vom Fachausdruck für koloniales Bauen über einen in der Fachwelt abgelehnten Modebegriff bis zum kanonisierten Terminus der Architekturmoderne. Ebenso werden die architektonischen Charakteristika des Bautyps analysiert und kategorisiert, der durch seine Modernität innerhalb der globalen Bungalowhistorie weitgehend allein steht. Die definierende Assoziation mit der Architekturmoderne sowie mit Merkmalen wie großen Verglasungen und einem prominent abgesetzten, flachen Dach ist ein (west-)deutsches Spezifikum, das – überlagert von der Internationalität von Begriff und Referenzen – in der Binnenwahrnehmung als solches nicht ersichtlich ist.

Empirische Grundlage der Arbeit sind 64 beispielhafte Bungalowprojekte mit über 250 Gebäuden – individuell entworfene Bungalows, Fertighäuser, Bungalowgruppen und -siedlungen –, vom Quelle-Fertighaus bis zum bekanntesten westdeutschen Bungalow, Sep Rufs ‚Kanzlerbungalow’ in Bonn. Alle Projekte wurden 1952 - 1969 in der Bundesrepublik fertiggestellt und publiziert. Zu ihnen gehören Bauten international renommierter Architekten (wie Neutras Haus Rang oder Wassili Luckhardts Wohnhaus) ebenso wie Häuser unbekannter Architekten. Das Gros der Beispiele stammt von Architekten, deren Werk die westdeutsche Nachkriegsarchitektur prägte; z. B. Kurt Ackermann, Max Bächer, Kammerer und Belz, Friedrich Wilhelm Kraemer, Bernhard M. Pfau, Sep Ruf, Joachim und Margot Schürmann oder Paul Schneider-Esleben. Die Beispiele werden im Katalogteil der Arbeit, einem ‚Werkverzeichnis des westdeutschen Bungalows’, vorgestellt und klassifiziert.

Die Forschungsergebnisse zum medialen Bild des westdeutschen Bungalows, seiner Typologie des Wohnens mit der Natur, seinem Status als Objekt der Architekturmoderne und der impliziten Suggestion einer Mittelschichtsgesellschaft werden im Hauptteil anhand der Diskussion und Interpretation von zwölf Projekten expliziert. Im Gegensatz zu seiner medial konstruierten Ikonografie als moderner Pavillontypus, die auch seine architekturhistorische Rezeption dominiert, zeigt sich der westdeutsche Bungalow als komplexes Wohnhaus von entspannter Modernität, welches das kalifornische Ideal vor dem Hintergrund einer an der Mittelschicht orientierten Nachkriegsgesellschaft für die Bundesrepublik adaptiert.

Die Dissertation wurde 2016 an der Universität Kassel eingereicht, 2016 verteidigt und online publiziert. 2021 erschien der von Carola Eberts Forschungsarbeit inspirierte Dokumentarfilm Bungalow von Stefanie Appel (HR/arte). Nach drei TV-Ausstrahlungen (arte 2021, 2022, HR 2024) ist er derzeit in der ARD-Mediathek bis 25.04.2026 verfügbar.

 

Bild: Haus Nieaber (ca. 1959), Bad Salzuflen, Deutsche Bauzeitschrift Nr. 9 (1960), S. 1096.

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Zur Person

Carola Ebert ist Architektin (Architektenkammer Berlin,2001, und TU Berlin, 1998), Architekturhistorikerin (Bartlett, UCL, London, 2001) und Professorin für Innenarchitektur, Geschichte und Theorie von Architektur und Design (Berlin International, seit 2016).

Nach acht Jahren als selbständige Architektin lehrte sie von 2006 bis 2010 Architekturtheorie und Entwerfen an der Universität Kassel; Lehraufträge an der TU Berlin, UdK Berlin, BTU Cottbus und den Universitäten Kassel, Potsdam und Stuttgart. Seit 2008 selbstständig als Coach und Kommunikationstrainerin (artop / Humboldt-Universität zu Berlin 2006) für Architekt*innen und Gestaltende. 2015-2016 tätig im bologna.lab für neue Lehr- und Lernformen an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit September 2016 Professorin für Innenarchitektur, Geschichte und Theorie von Architektur und Design an der Berlin International University of Applied Sciences.

Seit 2001 Tätigkeit als Architekturwissenschaftlerin. Veröffentlichungen und Vorträge zu Architekturideologien, Entwurfstheorien der 1960er Jahre, architektonischer Autorenschaft und zum westdeutschen Bungalow. Forschungsergebnisse ihrer Dissertation zum westdeutschen Bungalow an der Universität Kassel (2016) wurden auf diversen internationalen Architekturkonferenzen präsentiert und in Fachzeitschriften und Anthologien publiziert (vgl. Publikationen). Sie ist Gründungsmitglied im Netzwerk Architekturwissenschaft, und war stellvertretende Vorsitzende (2010-13) und Co-Koordinatorin der Themengruppe Architekturlehre (2015-19).

ebert[at]bungalowforschung.de

Bild: Haus Dr. W. (ca. 1959), Hannover, Deutsche Bauzeitschrift Nr. 6 (1960), S. 710.

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Publikationen zum Thema

Ebert, C. 2021: Interview; in Appel, S. (Regie): Bungalow [Dokumentarfilm]

Ebert, C. 2019: California dreaming in West-German suburbia: modernist bungalow architecture and its middle-class aspirations; in: Cantauw, C.; Caplan, A.; Timm, E. (Hg.): Housing the family. Locating the single-family home in Germany, Berlin: Jovis, S. 264-281.

Ebert, C. 2016: Entspannte Moderne. Der westdeutsche Bungalow 1952-1969 als Adaption eines internationalen Leitbilds und Symbol einer nivellierten Mittelschichtsgesellschaft, Universität Kassel.

Ebert, C. 2014: Die Pavillonisierung des Bungalows. Ein wiederkehrendes Motiv der (west-)deutschen Architekturgeschichte, in: ARCH+ 217 (zur 14. Architekturbiennale in Venedig), S. 40-51.

Ebert, C.; Locke, S. 2013: Ein Haus für die Welt. Von der bengalischen Bauernhütte zum globalen Phänomen; in: Stiftung Bauhaus Dessau (Hg.): Bauhaus 5 "Tropen", S. 54-59.

Ebert, C. 2012: Private vistas and a shared ideal: photography, lifestyle and the West German bungalow; in: Higgot, A.; Wray, T. (Hg.):
Camera Constructs. Photography, Architecture, and the Modern City, Aldershot: Ashgate, S. 73-89.

Ebert, C. 2012: Moderate Middle Class Modernism. The Architecture of the West German Bungalow; in: Herold, S.; Stefanovska, B. (Hg.):
45+. Post-War Modern Architecture in Europe, Berlin: Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin, S. 161-172.

Ebert, C. 2012: Moderate Modernism for the Middle Classes - The West German Modernist 'Bungalow' and the Ideal of a Prosperous
,Levelled Middle Class Society' in Postwar West Germany; in: Heynen, H; Gosseye, J. (Hg.): Proceedings of the 2nd International Conference of the European Architectural History Network, Brüssel: VWK, S. 579-584.

Ebert, C. 2012: Privatisierte Landschaft. Westdeutsche Architektenbungalows 1952-1959 zwischen kalifornischem Traum und (nicht-) städtischer Realität; in: Benze, A.; Ebert, C.; Gill, J.; Hebert, S. (Hg.): dérive 47 - Ex-zentrische Normalität. Zwischenstädtische Lebensräume,
S. 18-23.

Ebert, C. 2009: Into the great wide open: The West-German modernist bungalow of the 1960s as a psycho-political re-creation of Home, in: Multi. The RIT Journal of Plurality and Diversity in Design, vol. 2, no. 1, S. 35-51.

Ebert, C. 2005: Into the Great Wide Open: The Bungalow in 1960s’ West-Germany between Housing Industry and Stately Representation, in: Mart Kalm, Ingrid Ruudi (Hg.), Estonian Academy of Arts Proceedings 16: Constructed Happiness – The domestic Environment in the Cold War Era, Tallin: Estonian Academy of Arts, S. 144-155.

Bild: Quelle-Bungalow (1963); Quelle-Fertighaus- Fibel: Vom glücklichen Wohnen. Fürth, 1962, Umschlag.

 

 

 

 

 

 

 


Impressum

Prof. Dr. Carola Ebert Architektin
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ebert[at]bungalowforschung.de